Im Banne der Assimilation? Kunst, Kultur und Theorie transnationaler Migration
15. Oktober 2009
15.-17. Oktober 2009, Universität Konstanz
Programm (Download, PDF)
Assimilation und Integration waren seit Anbeginn niemals ‚reine’ wissenschaftliche Konzepte. Vielmehr haben sie bis heute immer auch eine politische und öffentliche Bedeutung. Wenn von der ‚Integration der Einwanderer’ die Rede ist oder die ‚europäische Integration’ thematisiert wird, wird stets beteuert, dass es sich keineswegs um Homogenisierungen handele. In solchen Beteuerungen schwingt eine alte wissenschaftliche Debatte mit: zwischen den ‚Pluralisten’ und ‚Multikulturalisten’ einerseits und den ‚Universalisten’ und ‚Assimilationisten’ andererseits. Diese Debatte ist inzwischen erkaltet und soll auch nicht wieder aufgewärmt werden. Gleichwohl zeigen die öffentlichen Auseinandersetzungen um ‚Assimilation’ und ‚Integrationspolitik’, dass die Konzepte ein erhebliches Bedeutungspotential für die Selbstbeobachtung moderner Gesellschaften haben. Angesichts ihrer politisch offenbar sehr relevanten Effekte soll auf dieser Tagung nach den theoretischen und historischkulturellen Grundlagen dieser Konzepte in Theorie, Öffentlichkeit und Kunst in Europa gefragt werden.
Die erhebliche gesellschaftspolitische Bedeutung der Begriffe ‚Assimilation’ und ‚Integration’ erklärt sich daraus, dass sie als komplexe Begriffe der europäischen Moderne zwei konträre Bewegungen bündeln: Zum einen den oftmals als Gewaltakt erfahrenen kulturellen Homogenisierungsprozess und zum anderen die Generierung eines Möglichkeitsraums, in dem durch Aneignung neue Lebensformen, und damit verbunden Repräsentations- und Imaginationsformen, geschaffen werden. Im Kontext des Multikulturalismus in Europa in Politik und Gesellschaft wurde der Diskurs bislang lediglich mit Blick auf den Homogenisierungsaspekt geführt. Die Debatte wurde damit einseitig auf die Unterscheidung ‚Kulturverlust versus Kulturerhalt’ reduziert. ‚Assimilation’ und ‚Integration’ adressieren inzwischen jedoch weitaus umfassendere Bedeutungsfelder. Sie rahmen als öffentliche Repräsentationen spezifische kulturelle Imaginationen und Vorstellungen von sozialer Ent-Differenzierung und von Wandlungspotential. Zudem beziehen sie sich keineswegs mehr nur auf die beiden Felder ‚tradierte Herkunftsgemeinschaft versus Ankunftsnation’, sondern indizieren inzwischen umfassende Zivilisationskonstrukte wie beispielsweise ‚den Westen’ oder transnationale Räume wie die ‚Europäische Gemeinschaft’. Mit der Forderung nach ‚Integration’ lassen sich politische Ziele und Programme formulieren und emphatisch in der Öffentlichkeit platzieren. Assimilations- und Integrationsvorstellungen stehen nicht der Kultur gegenüber, sondern sind selbst inhärenter Bestandteil der jeweiligen Kultur. Diese semantische Multivokalität der Begriffe Assimilation und Integration als Kulturkonzepte, die sich von ihrer bisher vorausgesetzten Bindung an ethnische oder nationale Monokulturen lösen lässt und somit Möglichkeiten der Aneignung, Bildung, Emanzipation und Egalität aufzeigt, wurde bislang nicht untersucht.
1. Theorie- und Konzeptvergleiche
Auf der theoretisch und konzeptuellen Ebene sind zunächst folgende Fragestellungen zu klären: Welche impliziten normativen und kulturellen Vorstellungen prägen die jeweiligen Modellbildungen? Dabei soll es nicht nur um Assimilations- und Integrationskonzepte gehen, vielmehr sind auch angrenzende Begriffe von ‚Akkulturation’ bis ‚Inkorporierung’ etc. thematisierbar. Hier wäre mit Hilfe von Theorie- und Modellvergleichen eine möglichst analytische Herangehensweise wünschenswert. Es ist nicht das Ziel, die alten normativ aufgeladenen Debatten zu wiederholen. Stattdessen soll in den Beiträgen möglichst vergleichend gezeigt werden, welche grundlagentheoretischen Vorannahmen und impliziten normativen oder kulturellen Vorstellungen von der ‚guten Gesellschaft’ in den jeweiligen Konzepten, sei es ‚Assimilation’, ‚Integration’, ‚Inkorporierung’, ‚Multikulturalismus’, ‚Transnationalismus’, ‚Translation’ etc. prägend sind. Es geht hier explizit um die Frage nach einer analytischen Schärfung des theoretischen Unterscheidungsvermögens und nicht um die Fortführung vergangener Differenzen und unvermittelbarer Oppositionen.
2. Die Geschichte von Assimilations- und Integrationskonzepten
In einem zweiten Schritt soll die historische Genese der Konzepte beleuchtet werden. Der Begriff „Assimilation“ ist in den Sozialwissenschaften bereits vor Jahrzehnten in Verruf geraten. Dem Konzept wurde angelastet, blind für kulturelle Differenz, Hybridität und Multikulturalität zu sein. Angesichts neuer Formen grassierender sozialer Ungleichheit konstatiert beispielsweise Rogers Brubaker in Nordamerika und Westeuropa einen „Return of Assimilation“ zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Die Idee der „New Assimilation“ versucht, den Ansatz von seiner nationalen und homogenisierenden Teleologie zu befreien und gleichzeitig auf die Gefahr ethnischer Schichtung und sozialer Exklusion aufmerksam zu machen. Mit dieser neueren Entwicklung ergeben sich vielerlei bislang unbeantwortete Fragen. Eine erste Frage lautet, „wohin“ das Assimilationskonzept ‚zurückkehrten’ könnte. Auf welche Zeit und welche Kultur der globalen (Trans-)Nationalisierungs- und Migrationsgeschichte referiert beispielsweise ‚New Assimilation’? Die Frage ist hier keineswegs auf die Idee der ‚New Assimilation’ beschränkt. Vielmehr könnten auch wissenschaftshistorische Ansätze, die die Geschichte der organistischen und biologistischen Idiome in den Gesellschaftswissenschaften berücksichtigen, konstruktive Einblicke ermöglichen.
3. Assimilation und Integration als öffentlicher Diskurs
Eine weitere Frage ergibt sich aus der Beobachtung, dass das Konzept inzwischen in der Öffentlichkeit selbst zu einem eigenen semantischen Politikfeld mit eigenlogischen Bedeutungsmustern geworden ist. Wenn sich sozial- und geschichtswissenschaftliche Analysen einem in der Öffentlichkeit intensiv diskutierten Konzept zuwenden, so ist es zunächst notwendig, auf zwei verschiedene Bedeutungsdimensionen zu verweisen: erstens die Praxisbedeutung und zweitens die analytische Bedeutung des zu untersuchenden Konzepts. In den öffentlichen Diskursen muss keineswegs die analytisch-wissenschaftliche Bedeutung eines Konzeptes, in diesem Fall das sozialwissenschaftliche Verständnis von Assimilation und Integration, entscheidend sein. Bei der Übernahme eines wissenschaftlichen Konzepts in die Öffentlichkeit kommt es nicht selten zu Verzerrungen der Begriffsbedeutung bis zur Unkenntlichkeit. Diese Effekte gilt es jedoch nicht zu beklagen, sondern, so unser Anliegen, zu untersuchen. In Deutschland spricht man beispielsweise seit den 1990er Jahren von ‚Integrationspolitik’, die sowohl einer ‚Ausländerpolitik’ als auch einer ‚Assimilationspolitik’ gegenüberstehe. Inwiefern sich beide Begriffe unterscheiden oder nicht doch dasselbe meinen, bleibt dabei offen. In diesem semantischen Spannungsfeld bewegen sich auch die seit 2005 von der deutschen Bundesregierung einberufenen Islamkonferenzen, die sich zum Ziel die Konstitution eines „deutschen Islam“ gesetzt haben, die real von einem ‚europäischen Diaspora-Islam’ (B. Tibi) begleitet wird. Die so genannte Rückkehr der Assimilation, hier in Form einer versuchten identifikatorischen Form, scheint mit einer zunehmenden Kulturalisierung der Integrationspolitik einherzugehen, die ‚multikulturalistisch’ nicht mehr verortbar ist. Eine solche Tendenz ist keineswegs auf Deutschland allein beschränkt, sondern modifiziert auch in Frankreich, den Niederlanden oder Großbritannien aufzufinden. Vergleichende Ansätze wären also hier auch sehr willkommen.
4. Assimilations- und Integrationskulturen in Literatur und Film
Schließlich ist die Frage nach assimilativen und integrativen kulturellen Formen mithilfe neuerer Forschungsrichtungen in der Sprach- und Literaturwissenschaft zu diskutieren. Dort wird stets betont, dass ethnische oder nationale Sprachen und Kulturen weder als statischer Faktor noch als homogen geschlossene Einheiten begriffen werden können. Assimilative und integrative Prozesse, so die These, unterliegen selbst spezifischen kulturellen Gedächtnis- und Narrationsmustern. Damit ist gemeint, dass eine ‚ethnische’ und ‚nationale’ Kultur keineswegs den Assimilations- und Integrationsformen als vorgängig zu denken ist, sondern dass stattdessen von ‚Assimilations-’ und ‚Integrationskulturen’ auszugehen ist, die sich aus literarischen und filmischen Erzählungen konstituieren. Hier ist die Frage näher zu untersuchen, welche spezifischen Gedächtnis- und Narrationsformen in diesem Kontext zu unterscheiden sind. So können wir einen Wandel im Bereich der Literatur und Kunst in Europa beobachten, insbesondere in der Literatur und im Film von AutorInnen und RegisseurInnen mit Migrationshintergrund. Im Schaffen dieser AutorInnen zeigen sich seit den 90ern, jenseits einer Repräsentation von Monokulturen beispielsweise im Falle der deutsch-türkischen Kunstproduktion, nicht nur einfach türkische oder deutsch-türkische Geschichten. Vielmehr wird/werden hier explizit deutsche Geschichte(n) verhandelt, die kulturelle Wissensformationen in die deutsche Kunstproduktion und Geschichte einschreiben, welche diese zu Beginn des 21. Jahrhunderts transkulturell grundlegend verändert hat und einen Raum konstituiert, der Nation und Globalisierung in eine Relation jenseits des Transnationalen setzt. In wieweit der Begriff Assimilation in einem ateleologischen Verständnis nach der „New Assimilation“ hier als Zugang weiterhelfen kann, wäre eine unter anderen denkbaren Herangehensweisen.
Veranstalter
Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universität Konstanz
Sektion „Migration und ethnische Minderheiten“ der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Konstanz
Kontakt
Dr. des. Özkan Ezli oezkan.ezli[at]uni-konstanz.de
Dr. habil. Andreas Langenohl andreas.langenohl[at]uni-konstanz.de
Dr. Valentin Rauer valentin.rauer@uni-konstanz.de
- Dateien:
Programm_Assimilation.pdf258 Ki